Wie Werbung die Welt tatsächlich besser machen könnte. | Simon Kümin

Simon Kümin
Gute Ideen für gute Kunden.

Wie Werbung die Welt tatsächlich besser machen könnte.

Die Werbebranche spricht gerne über Werte. Ausser dann, wenn sie wirklich einen grossen Einfluss hätte: bei der Verteilung der Budgets auf die Kanäle. Dass wir Tech-Giganten jährlich über 2 Milliarden Franken überweisen, birgt einige Risiken.

von Simon Kümin

1 Kommentar

Vielleicht verbieten die USA mit TikTok schon bald eine Plattform, die 2022 weltweit 9,4 Milliarden Dollar erwirtschaftete1. Was enorme Auswirkungen hätte: auf das Leben von 150 Millionen Amerikanern2 genauso wie auf den globalen Werbemarkt.

Was hat das nun damit zu tun, dass wir in unserer Branche gerne so tun, als ob unsere Arbeit sinnstiftender wäre und die Welt zum Besseren verändere?

«Hey Kunde, zeig doch, wie progressiv du bist. Unsere Idee ist voll edgy.»

Einiges. Besonders, weil beim ganzen Purpose über eines seltsamerweise nie gesprochen wird: Wohin der Werbefranken fliesst. Dabei haben wir hier mit Abstand den grössten Hebel. Immerhin betrugen 2022 die Mediakosten in der Schweiz über 6 Milliarden Franken3.

Und dieses Geld fliesst bekanntlich immer stärker in digitale Werbung. Laut Schätzungen4 geht rund 30 % der gesamten Schweizer Ausgaben für Werbeplätze an Google, Meta, Bytedance (das Unternehmen hinter TikTok) etc.

Was ist das Problem?

Dass TikTok, Instagram, X und ähnliche Plattformen als «soziale Medien» bezeichnet werden, ist ziemlich zynisch. Es ist inzwischen bekannt, dass werbebasierte digitale Netzwerke einige äusserst negative Begleiterscheinungen mit sich bringen.

So verdienen die Plattformen an Inhalten, die für mehr Verweildauer oder Klicks sorgen. Ihr Ziel ist es also, uns so lange wie möglich in ihren Apps swipen und scrollen zu lassen. Teilweise werden Fake News, Hassposts oder gezielte Desinformation zumindest toleriert, wenn sie dem Betreiber mehr Umsatz bringen5.

Insbesondere Jugendliche, die zu viel Zeit auf sozialen Medien verbringen, riskieren, depressiv zu werden6. Mit Florida hat unlängst ein stramm republikanisch regierter US-Bundesstaat Jugendlichen unter 14 Jahren den Zugang zu Social Media verboten7.

Ausserdem ist da noch der Datenschutz, den die Tech-Giganten mit Händen und Füssen treten. Und dafür auch mal eine kleine Busse bezahlen, wie zum Beispiel über 4.1 Milliarden Euro an die EU 8. Shit happens.

Die ganze Geschichte erinnert daran, wie man irgendwann gemerkt hat, dass die Versprechen der Tabakkonzerne («Rauchen entspannt!») doch nicht ganze Wahrheit waren.

Follow the Money: Wohin jeder Insta-Funnel am Ende führt.

Dann gibt es noch ein weiteres Problem.

Wenn mehr Geld bei den Herren Zuckerberg und Musk landet, muss jemand entsprechend weniger verdienen. Die Verlagerung der Werbebudgets sorgt zum Beispiel dafür, dass immer mehr Schweizer Medienhäuser Stellen abbauen. Es also weniger Leute gibt, die bezahlt werden, um zu recherchieren, bevor sie etwas schreiben und ins Netz stellen. Journalismus ist ein unattraktiver Beruf geworden, wie ein Schweizer Magazin darlegt9.

Interessant ist auch, dass die Werbebranche kommentarlos zuschaut, wie immer mehr Schweizer Städte Aussenwerbung einschränken10 bzw. es Vorstösse gibt, dies zu tun11. Stattdessen könnten wir ja argumentieren, dass Plakate niemanden tracken, und der Werbeeinfluss öffentlich kontrollierbar ist. Im Gegensatz zu Social Media, wohin das Geld wohl abwandern würde, käme es zu den Verboten12.

Ketamin kostet halt auch.

Haltung muss man sich leisten könnnen.

Es ist Sache jedes Werbekunden, seine Budgets zu verteilen. Und Sache jeder Agentur, alles zu machen, was Geld einbringt. Nur ist es halt ziemlich heuchlerisch, sich als Speerspitze des gesellschaftlichen Fortschritts zu verstehen und dort die Augen zu verschliessen, wo man so gut wie jeden Tag etwas Macht hätte. Viel einfacher ist es halt, zu glauben, wir könnten die Welt mit ein paar schönen Bildern besser machen. Und auch viel, viel billiger.

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  1. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1409168/umfrage/umsatz-tiktok-weltweit-quartale/ 

  2. https://newsroom.tiktok.com/en-us/150-m-us-users 

  3. https://www.schweizermedien.ch/artikel/medienmitteilung/2023/2023-05-24-werbestatistik-schatzt-erstmals-umsatze-der-techplattformen-74-des-onlinewerbemarktes-w 

  4. https://www.schweizermedien.ch/artikel/medienmitteilung/2023/2023-05-24-werbestatistik-schatzt-erstmals-umsatze-der-techplattformen-74-des-onlinewerbemarktes-w 

  5. https://www.nzz.ch/panorama/elon-musk-und-australien-streiten-ob-das-video-einer-messerattacke-auf-der-plattform-x-sichtbar-bleiben-soll-ld.1828128 

  6. https://www.nzz.ch/digital/maedchen-leiden-haeufiger-an-depressionen-wegen-social-media-als-jungen-ld.1448946 

  7. https://www.nzz.ch/technologie/florida-gesetz-verbietet-jugendlichen-unter-14-jahren-soziale-netzwerke-ld.1823785 

  8. https://www.srf.ch/news/wirtschaft/rekordstrafe-eu-gericht-verdonnert-google-zu-4-1-milliarden-busse 

  9. https://www.republik.ch/2023/05/16/die-flucht-der-journalistinnen 

  10. https://www.srf.ch/news/schweiz/umstrittenes-werbeverbot-berner-stadtrat-will-werbeverbot-und-stoesst-auf-protest  

  11. https://www.persoenlich.com/marketing/stadtzurcher-al-will-plakate-beschranken  

  12. Interessant ist diesbezüglich, dass der von mir sehr geschätzte Howard Gossage in seinem Buch «Ist die Werbung noch zu retten?» sich viele Gedanken darüber macht, in welchem Umfeld seine Werbung zu sehen ist. 


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