Höhere Zinsen und billige Werte in der Werbung | Simon Kümin

Simon Kümin
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Höhere Zinsen und billige Werte in der Werbung.

Letzte Woche erhöhte die Schweizerische Nationalbank (SNB) die Leitzinsen auf 0.5 Prozent. Dies hat natürlich einige Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Aber vielleicht – und hoffentlich – auch auf die Werbebranche. Ein Plädoyer für mehr Ehrlichkeit und weniger Purpose.

von Simon Kümin

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Zuerst die offensichtliche und unerfreuliche Tatsache: Zinserhöhungen sind schlecht für die Werbewirtschaft. Je höher die Zinsen, desto tiefer die Investitionen und desto zurückhaltender werden Auftraggeber. Falls es zu einer Rezession kommen sollte, werden Werbebudgets in der Regel zuerst gestutzt. So weit, so schlecht.

Doch es gibt auch eine positive Botschaft.

Dazu ein paar Gedanken zu (tiefen) Zinsen.1 Diese führen dazu, dass (institutionelle und private) Anleger ihr Geld nicht mehr auf dem Sparkonto belassen oder in Obligationen investieren. Denn dort wirft es entweder keine oder gar eine negative Rendite ab.

Also wandert das Geld in spekulative Anlagen. Zum Beispiel in Aktien von Technologie-Unternehmen (auch solche, die tiefrote Zahlen schreiben), die die Vision haben, irgendwann die Welt oder gar das Weltall zu beherrschen. Je grandioser das Ziel, desto grösser der Hype. Doch diese Blase kann rasch platzen, wie die Börsenkurse vieler Tech-Unternehmen im letzten Halbjahr zeigen.

Bei zu tiefen Zinsen verschieben Anleger ihr Geld von «ehrlichen» (sprich: langweiligen) Unternehmen mit soliden Geschäftsmodellen zu spekulativen Anlagen. Das war im 17. Jahrhundert so (Mississippi-Blase) und 2000, als viele Dotcom-Träume platzten.

Was hat das nun alles mit Werbung zu tun? Dazu muss ich noch etwas weiter ausholen. Jahrzehntelang waren wir das Schmiermittel der Wirtschaft. Wir halfen Unternehmen, ihre Zielgruppen zu erreichen, ihre Markenwerte zu steigern oder mehr Geld für ihre Produkte verlangen zu können. Doch dies reichte uns irgendwann nicht mehr.

Heute gibt es Purpose und Werteagenturen.

Die künstliche Beatmung der Wirtschaft in den letzten Jahren durch Tiefstzinsen und billiges Geld der Notenbanken führte dazu, dass Unternehmen übermütiger investierten – auch in ihr Marketing. Uns in der Werbebranche ging es zu gut und wir fingen an, grössenwahnsinnig zu werden.

Plötzlich ging es uns nicht mehr darum, ehrliche Arbeit zu leisten und Aufträge sauber zu erfüllen. Wir fingen an, uns als Sinnstifter zu sehen, deren Arbeit einen «Purpose» hat. Jetzt machen wir die Welt besser oder retten sie sogar. Einige Beispiele dafür:

Nun werden einige den Kopf schütteln und mich zynisch nennen. Damit kann ich gut leben, denn ich würde sogar das Gegenteil behaupten: Wer gedankenlos den Purpose-Rosenkranz nachbetet, hilft nur (natürlich ohne böse Absicht), Zynismus zu verbreiten.

Denn ich habe sehr wenig gegen Unternehmen, welche nachhaltiger, sozialer und fairer wirtschaften. Wie zum Beispiel ein Schweizer Unternehmer, der auf viel Geld verzichtete, weil er sich weigerte, Tabak und Alkohol zu verkaufen. Oder mein Kunde gebana, der für mehr Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit im Handel bereit ist, Umsatz und Gewinn zu teilen.

Das ist der Punkt: Prinzipien kosten, Purpose ist gratis (abgesehen von der Produktion der Werbemittel). So erstaunt es zum Beispiel nicht, dass Nike oder Amazon gerne Diversity oder Rassismus in ihrer Werbung thematisieren, aber nie Arbeitnehmerrechte, welche sie viel Geld kosten würden.

Ebenfalls bezeichnend ist es, dass globale Konzerne den Pride Month in westlichen Ländern zelebrieren, sich im Nahen Osten oder in Russland, wo ein solches Engagement wirklich mutig wäre, jedoch zurückhalten.

Höhere Zinsen sind eine Chance.

Falls es zu einer Rezession kommen sollte, wird dies auch in unserer Branche zu Entlassungen führen. Dies wünsche ich niemandem. Aber gleichzeitig ist eine Krise auch eine Chance, wieder ehrlicher zu werden.

Genau so wenig wie billiges Geld die Produktivität steigert, machen billige Werbebotschaften die Welt besser. Wir brauchen keinen Purpose. Denn unser Job umfasst eine wichtige Aufgabe für die Volkswirtschaft. Wir kreieren Wert, indem wir Unternehmen helfen, ihre Angebote intelligent und effektiv zu vermarkten.2

Wenn wir es schaffen, dies selbst intelligent und effektiv zu kommunizieren, dann schaffen wir es wahrscheinlich besser durch wirtschaftlich schwierige Zeiten. Und wir bleiben auf LinkedIn verschont von allzu plumper und offensichtlich zur Schau gestellter Tugendhaftigkeit. Amen.


  1. Zinsen sind übrigens ein hoch interessantes Thema. Es gibt sie schon länger als Bargeld und ihr Einfluss auf die Wirtschaft und letztlich uns alle ist enorm. Wer sich fürs Thema interessiert, dem sei das Buch «The Price of Time» von Edward Chancellor wärmstens empfohlen. 

  2. Dies ist übrigens Grund genug, um etwas Altmodisches zu haben, was meiner Ansicht nach eine Seltenheit in unserer Branche geworden ist: Berufsstolz. 


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